Geschichte der Blauen Fabrik
1991 – 2008 „Gründung, Aufstieg und Fall“
1991 führten Thomas Haufe, Lutz Fleischer und Sigrid Walter die Räumlichkeiten einer seit den 1970er Jahren bestehenden Modellbauwerkstatt im Hinterhof der Prießnitzstraße 44-48 einer künstlerischen Nutzung als Galerie zu. Sie gaben dem Ort auch den Namen „Blaue Fabrik“. Die „Gründerväter“ tranken nach ihren Aktionen gerne Eibauer Bier und die auf den Bierdeckeln abgebildete blaue Brauerei, der Bezug zum „Blauen Reiter“ und den „blue notes“ des Blues und Jazz soll sie zum Namen inspiriert haben. Ebenso wollten sie einen Ort, wo man sprichwörtlich auch „blau machen könnte“, um mit Muße und nach eigenem inneren Gesetz zu arbeiten statt nach autoritären-industriellem Takt. Die Eröffnung erfolgte am 01. Dezember 1991 mit der Vernissage der Gruppenausstellung „BLAU“.
Die Galerie entwickelte sich schnell zum Hotspot der freien Dresdner Kulturszene und Künstler anderer Genres vernetzten sich mit der Galerie. Bis 1996 fanden zahlreiche Ausstellungen in- und ausländischer Künstler statt. Als die Galerie 1996, aufgrund finanzieller Probleme, schließen musste, übernahm dieser „Freundeskreis“ das Haus und gründete die „Künstlervereinigung blaueFABRIK e. V.“ (1996 konstituiert, 1997 ins Vereinsregister eingetragen). Maßgeblich daran beteiligt waren Frau Prof. Hanne Wandtke als Vereinsvorsitzende (Tänzerin und Dozentin an der Palucca-Hochschule), Isolde Matkey (Dramaturgin), Uwe Kraus (Komponist), Dr. Günter Heinz (Posaunist und Komponist), Matthias Macht (Schlagzeuger) und Hartmut Dorschner (Saxofonist & Komponist).
Der Schwerpunkt lag nun bei Musik: am Donnerstagabend gab es das „Konzert am Kamin“ (eine Improvisations-Werkstatt, initiiert von Matthias Macht und Hartmut Dorschner), die Konzerte der „Krause Dorschner Musikkompagnie“ (zeitgenössische komponierte Musik mit Anwesenheit der Komponisten), die Reihe „Dorschner Macht Musik“, das jährliche „Festival frei improvisierter Musik“ (unter der künstlerischen Leitung von Günter Heinz) und natürlich die Tanzimprovisation von Palucca-Schülern unter Leitung von Hanne Wandtke.
Die Galerie-Tradition wurde in Form monatlich wechselnder Ausstellungen weitergeführt.
Im Jahr 2000 wurde von Jo Siamon Salich (Videokünstler), Hartmut Dorschner und der Computerfirma „dialogic“ das „blueLAB“ als erstes Dresdner Interface-Labor in der Blauen Fabrik gegründet. Es war eine interaktive Arbeitssituation und Experimentallabor für computergestützte Kunst, in der Tanzperformances, Installationen und interaktive Konzerte erarbeitet wurden, welche europaweit aufgeführt wurden (z.B. Ars Electronica in Linz, Strassbourg und Salzburg). Das blueLAB war auch ein Brückenschlag zum Festspielhaus Hellerau, wo gemeinsame Produktionen mit der CynetArt und dem Zentrum der europäischen Künste entstanden sind.
Eine Zeitlang gab es „Das Festival bedrohter Art“ – ein genreübergreifendes, von Hartmut Dorschner initiiertes Festival mit Künstlern aus der Region, wie Günter Baby Sommer, Jens Uwe Sommerschuh, Friedrich Schenker, Dietmar Diesner u.a. – das „Festival Indischer Musik“ (Leitung: Mario Faust) und die Theaterbrigade von Antje Grüner und Christian Schmidt.
Zwischen diesen vergleichsweise großen Projekten gab es viele kleinere Veranstaltungsreihen, wie Beteiligungen am Tanzherbst, Tanzplan Dresden und der Sächsischen Tanzwerkstatt, Examens- Konzerte und Ausstellungen, Proben und Konzerte der „Neuen Dresdner Kammermusik“, der „Sinfonietta Dresden“, des „Ensemble Courage“, des „Trio Elole“ u.a.
Die Blaue Fabrik wurde neben dem blueLAB auch von anderen Künstlern als Arbeitsraum genutzt. So gab es den Schlagzeugprobenraum von Jörg Ritter (NYUTO) und die Maler Christopher Simpson (GB) und Walter Battisti (Italien) hatten hier ihre Ateliers.
In unmittelbarer Nachbarschaft zur Blauen Fabrik befanden sich die „Fortuna Werkstätten“ mit Atelier, Kleinverlag und Druckwerkstatt von Dirk Fröhlich, der in der Vergangenheit viele Projekte zusammen mit bzw. in der Blauen Fabrik realisierte.
2005 wurde die Blaue Fabrik mit dem Kulturförderpreis der Stadt Dresden ausgezeichnet.
2007 fiel der Verein nach dem Rücktritt des Vorstandes um Hanne Wandtke und Hartmut Dorschner und dem Weggang einiger Vereinsmitglieder in eine Krise und stand kurz vor der Auflösung. Die 2006 erstmals erhaltene institutionelle Förderung ging wieder verloren.
2008-2013 „Konsolidierung“
Mit der Wahl der Tänzerin und Choreografin Valentina Cabro und der Bestellung des (zunächst ehrenamtlichen) Geschäftsführers Holger Knaak begann die Umstrukturierung des Vereins. Ein öffentlich zugängliches Vereinsbüro mit regelmäßigen Sprechzeiten wurde eingerichtet, Chaos in der Vereinsverwaltung und Buchführung beseitigt, interne Vereinsstrukturen neu ausgerichtet, die alte Homepage durch eine neue Homepage auf CMS-Basis ersetzt. Zudem wurden die Räume einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wodurch sich die Blaue Fabrik schnell wieder belebte und zahlreiche neue Projekte etablierten.
An Stelle der Tanzimprovisation von Hanne Wandtke traten Kurse und Workshops der Tänzerin und Choreographin Kerstin Dietze sowie eine von Valentina Cabro geleitete Contact-Improvisation. Seit 2011 finden regelmäßig Flamenco-Kurse des „El Patio“ statt.
Vom Herbst 2009 bis Frühjahr 2013 nutzte die „Offene Bühne Dresden“ jeden letzten Sonntag im Monat die Blaue Fabrik.
Seit 2011 finden in Kooperation mit dem „Jazzkollektiv Dresden“ die wöchentlichen „In Session with…“ als Musizierplattform für Studenten der HfM statt.
2012 wurde die Ausstellungsreihe [parablau] ins Leben gerufen, in der seitdem viele Künstler aus der Region, Deutschland und dem europäischen Ausland bis hin nach Russland ausstellten.
Seit 2010 erhält die Blaue Fabrik institutionelle Förderung der Landeshauptstadt Dresden und wurde 2011 im ersten Bericht zur „Kultur- und Kreativwirtschaft in Dresden“ als ein wichtiger Ort für zeitgenössische Kunst mit überregionaler Bedeutung hervorgehoben.
2013-2016 „im Exil“
Da sich in dem schon 1991 sanierungsbedürftigem Gebäude die bauliche Situation kontinuierlich verschlechterte und auch die (mittlerweile neuen) Eigentümer trotz Hilfsangeboten des Kulturamtes nicht die notwendigen Mittel und den Willen aufbrachten, die Situation in Kooperation mit der Blauen Fabrik zu beheben, kam es zu Zerwürfnissen. Die Bauaufsicht zog daher im Frühjahr 2013 die Notbremse und untersagte die weitere Nutzung des Gebäudes.
Der Verein, auch intern aufgrund von Interessengegensätzen zerrissen, da einige Mitglieder gleichzeitig Miteigentümer des Grundstückes geworden waren, stand vor der Auflösung.
Diese konnte nur durch den Umzug in eine „Zwischenlösung“, in die an sich eher ungeeigneten Räumlichkeiten in einem DDR Verwaltungsbau hinter der Post auf der Königsbrücker Straße, verhindert werden.
Trotz der aufgrund von Lage, Ausstattung und Ambiente schlechten Ausgangslage, dies sich schnell in stetig zurück gehendem Publikum und aktiven Künstlern manifestierte, konnten hier neue Projekte initiiert werden. Das wichtigste war die 2014 von der EU geförderte deutsch-tschechische Ausstellungsreihe „[parablau]: Dresden / Ústi nad labem“. Der dort entstandene Austausch mit der tschechischen Kunstszene führte in den Folgejahren zu weiteren Projekten.
2016 bis 2019 „Neuanfang am Alten Leipziger Bahnhof“
Zum 1. September 2016 eröffnete die Blaue Fabrik in der sog. „Grünen Villa“, dem linken Flügel des „Alten Leipziger Bahnhofes“ neu. Dort stehen 15 Proberäume von 10 bis 50 m², ein Gästezimmer, 1 Projektraum von 60 m² und Freiflächen im Außenbereich, sowie ein „Lichthof“ mit 12 m Deckenhöhe für öffentliche Veranstaltungen, zur Verfügung. Im Rahmen des vom Verein gestellten Antrages auf Umnutzung des Hauses für öffentliche Veranstaltungen kam heraus, dass das Gebäude aufgrund von längerem Leerstand keinen Bestandsschutz mehr hatte, d. h. der Vermieter jedwede Nutzung des Gebäudes neu beantragen und umfangreiche Brandschutzmaßnahmen hätte durchführen müssen. Diese Maßnahmen wurden vom Vermieter in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro RKA seit Frühjahr 2017 bis Frühjahr 2019 durchgeführt. Von November 2016 bis Oktober 2017 konnten die Räume daher mit Duldung der Bauaufsicht nur eingeschränkt genutzt werden, seit November 2017 war nur eine eingeschränkte nicht-öffentliche Nutzung des Erdgeschosses möglich (das Obergeschoss war komplett gesperrt).
Seit Mai 2019 kann die Blaue Fabrik nach erfolgten Baumaßnahmen wieder vollumfänglich genutzt werden.
ab 2019
2020 wurde mit dem neu gegründeten „Jazzkollektiv Dresden e.V.“ eine Kooperation geschlossen, die die langjährige faktische Zusammenarbeit auch formal regelt.
Die „Corona-Krise“ konnte die Blaue Fabrik trotz erheblicher Einnahmeverluste durch verschiedene Sonderförderungen von Bund, Freistaat und Kommune finanziell überstehen. Die zum 30. Geburtstag am 01.12.2021 angedachte „große Sause“ fiel jedoch, wie viele andere geplante Veranstaltungen, den Corona-Maßnahmen zum Opfer.
2021 beteiligte sich die Blaue Fabrik mit einer eigenen Bühne vorm Hochhaus am Albertplatz / Simmel-Center am „Kultursommer 2021: Dresden Open Air“.
2022 / 2023 fanden in Kooperation mit dem „Institut für räumliche Resilienz“ und dem „Förderkreis Erinnerungs- Bildungs- und Begegnungsort Alter Leipziger Bahnhof“ mehrere Veranstaltungen statt, die auf die Rolle des ALB bei der Deportation jüdischer Bürger aus Dresden und dem Umland 1942 bis 1944 hinwies.
Am 09.11.2023 legten zum Gedenken an die Reichsprogromnacht Vertreter der jüdischen Gemeinden, der Dresdner Oberbürgermeister und der Ministerpräsident des Freistaat Sachsen auf dem Bahnsteig direkt hinter der Blauen Fabrik Kränze nieder.